Wenn das Immunsystem Memory spielt: Kann eine Impfung vor Demenz schützen?

Die Vorstellung ist ungewöhnlich: Eine etablierte Impfung und möglicherweise ein geringeres Risiko für Demenz? Genau darauf deuten mehrere Beobachtungsstudien zur Herpes-Zoster-Impfung hin. Bewiesen ist dieser Zusammenhang nicht, aber interessant genug, um genauer hinzuschauen.

Wer in der Kindheit Windpocken hatte, trägt das Varizella-Zoster-Virus häufig ein Leben lang im Nervensystem mit sich herum.

Das Virus ruht dort oft über Jahrzehnte und wartet auf eine Gelegenheit, wieder aktiv zu werden. Reaktiviert es sich, entsteht keine Windpockenerkrankung mehr, sondern die Gürtelrose. Dabei entzündet sich in den meisten Fällen ein einzelner peripherer Nerv. Entlang dieses Nerven ziehen die Viruspartikel in die Haut und verursachen die typischen Hautveränderungen: kleine, eng gruppierte Bläschen, die einem klar abgegrenzten Hautareal folgen. Gelegentlich breitet sich die Entzündung auch auf benachbarte Nerven aus, sodass ein etwas größeres Hautareal betroffen ist. Dadurch entsteht das halbseitige, gürtelartige Erscheinungsbild, das der Erkrankung ihren Namen gegeben hat.

In der Praxis zeigt sich eine gewisse Tendenz: Bei jüngeren Menschen tritt die Gürtelrose häufiger am Rumpf auf, während man bei älteren Patientinnen und Patienten tendenziell mehr Verläufe im Gesichtsbereich sieht – etwa an Auge, Ohr oder Nase. Diese Gesichtsformen können deutlich schwerer verlaufen.

Nicht selten ist dann eine stationäre Einweisung notwendig, um eine intravenöse antivirale Therapie durchzuführen und Komplikationen wie Sehverlust oder Hörverlust rechtzeitig zu verhindern. Aus diesem Grund spreche ich Menschen im empfohlenen Altersbereich gezielt auf die Möglichkeit der Zoster-Impfung an, um gemeinsam zu klären, ob sie diese vorbeugende Schutzmaßnahme wünschen.

Nach heutigem Wissen spielt sich die Zoster-Infektion nahezu ausschließlich im peripheren Nervensystem ab. Auch die bekannten postherpetischen Neuralgien entstehen dort, nicht im Gehirn. Damit stellt sich eine spannende Frage: Wenn die Erkrankung in der Peripherie stattfindet, weshalb zeigen Beobachtungsstudien, dass geimpfte Personen im Verlauf etwas seltener eine Demenzdiagnose erhalten?

Hier beginnt der Bereich der Arbeitshypothesen. Eine Möglichkeit ist, dass Reaktivierungen des Virus über komplexe Immunmechanismen indirekt auch zentrale entzündliche Reize auslösen könnten – subtil, selten oder nur in bestimmten individuellen Konstellationen. Ob das so ist, ist völlig unklar.

Es gibt keinen Beweis, sondern lediglich Überlegungen, die helfen sollen, die statistischen Beobachtungen einzuordnen.

Fest steht: Die Herpes-Zoster-Impfung selbst ist nichts Exotisches und keine neue Technologie. Sie gehört zur Familie der klassischen, adjuvantierten Totimpfstoffe.

Ziel ist es, das Immunsystem gezielt zu stärken, damit Reaktivierungen des Virus verhindert oder abgeschwächt werden. Ungewöhnlich ist dabei, dass die Impfung unabhängig davon empfohlen wird, ob man das Virus überhaupt trägt. Das stellt in der Impfmedizin ein echtes Novum dar und zeigt, dass hier noch nicht alle Mechanismen verstanden sind.

Zur Studienlage: Mehrere große Beobachtungsstudien aus verschiedenen Ländern weisen darauf hin, dass geimpfte Menschen im Verlauf etwas seltener eine Demenzdiagnose erhalten. Diese Daten sind bemerkenswert, aber sie beweisen keinen ursächlichen Zusammenhang. Möglicherweise spielt die Impfung eine Rolle, möglicherweise auch der Lebensstil der Personen, die sich impfen lassen, oder andere nicht messbare Einflüsse. Die Forschung dazu läuft weiter.

Die offiziellen Empfehlungen sind dagegen klar. Die STIKO rät zur Herpes-Zoster-Impfung ab 60 Jahren für alle und bereits ab 50 Jahren für Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder bestimmten gesundheitlichen Risikofaktoren. Jüngere Menschen sollten sich nicht aus Sorge vor Demenz früher impfen lassen. Die Hinweise auf mögliche neurologische Zusatznutzen dienen derzeit ausschließlich der wissenschaftlichen Einordnung.

Fazit
Die Beobachtung, dass geimpfte Personen etwas seltener eine Demenzdiagnose erhalten, wird zunehmend häufiger gemacht. Sie ist jedoch wissenschaftlich nicht erklärbar. Es existieren zwar Modelle, die über mögliche entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem spekulieren, doch diese Ansätze sind bislang reine, völlig unbewiesene Arbeitshypothesen. In der Medizin entstehen viele Erkenntnisse zunächst aus Beobachtungen, bevor sie später – manchmal erklärt werden können. Menschen reagieren jedoch nicht wie Reagenzgläser: individuelle Besonderheiten, Lebensstil und zahlreiche unvorhersehbare Faktoren spielen immer mit. Die Gürtelrose-Impfung ist daher vor allem das, was sie seit Jahren ist: eine gut begründete und sinnvolle Vorsorgeimpfung zur Verhinderung schwerer Zoster-Verläufe im empfohlenen Alter. Alles darüber hinaus bleibt momentan eine spannende Hypothese.

Wer Impfungen gegenüber aufgeschlossen ist, kann diese Impfung im Rahmen der STIKO-Empfehlungen gelassen in Betracht ziehen – ohne den Anspruch, damit eine Demenz zu verhindern.

Dr. med. Stefan Rupp
Hausarzt in Freiburg-Littenweiler
Allgemeinmedizin, Prävention & Ernährungsmedizin

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