Schlafkindlein Schlaf – und warum wenig Schlaf dick macht
Sie tun es auch. Und zwar jede Nacht: nichts tun.
Schlaf wirkt von außen wie die eleganteste Art der Untätigkeit. Doch wer glaubt, Schlaf sei nur eine etwas längere Pause, übersieht, was tatsächlich passiert: Im Schlaf läuft das große Reparaturprogramm. Zellen werden geflickt, Stoffwechselreste entsorgt, das Gehirn räumt auf und sortiert – quasi die Nachtschicht unseres Körpers.
„Schlaf ist der Bruder des Todes.
(Das klingt dramatisch, trifft aber den Punkt: Schlaf ist mächtig, nicht vollständig kontrollierbar – und von zentraler Bedeutung.)“
Homer hatte also bereits vor rund 2800 Jahren ein erstaunlich gutes Gespür dafür, dass Schlaf eine gewaltige Kraft im Menschen besitzt.
Wir verstehen heute hervorragend, wie Schlaf funktioniert. Wir können Phasen messen, Hirnströme ableiten, Träume erkennen. Nur das große „Warum?“ steht weiterhin im Raum wie ein unaufgeräumter Nachttisch.
Warum wir schlafen – oder besser: warum wir es vermutlich tun
So gut wir wissen, wie Schlaf funktioniert, so wenig wissen wir bis heute, warum unser Organismus ihn überhaupt entwickelt hat. Es gibt mehrere wissenschaftliche Theorien, und sie schließen sich nicht aus – wahrscheinlich greifen sie ineinander.
• Reparatur-Theorie: Im Schlaf laufen Prozesse ab, die tagsüber nicht möglich sind. Zellen werden repariert, DNA-Schäden korrigiert, Abbauprodukte entsorgt.
• Energiespar-Theorie: Der Körper fährt nachts den Energieverbrauch herunter. Schlaf könnte eine evolutionäre Strategie sein, Reserven effizienter zu nutzen.
• Gehirn-Aufräum-Theorie: Das Gehirn sortiert im Schlaf Informationen, stärkt wichtige Verbindungen, schwächt unwichtige ab. Gleichzeitig werden Stoffwechselreste aus dem Gehirn „abgepumpt“ – das glymphatische System ist so etwas wie die nächtliche Gehirnspülung.
• Stoffwechsel-Theorie: Schlaf stabilisiert Hormone, regelt Appetit, Blutzucker und Insulinsensitivität.
• Immunsystem-Theorie: Während wir schlafen, arbeitet das Immunsystem auf Hochtouren, erneuert Abwehrzellen und reguliert Entzündungen.
Interessant ist dabei: Schlaf oder schlafähnliche Zustände finden sich bei praktisch allen Lebewesen, die man bisher untersucht hat – bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Fischen, Insekten und sogar bei sehr einfachen Organismen wie Quallen. Offenbar ist Schlaf ein uraltes biologisches Prinzip, das in der Evolution so wichtig war, dass es nie abgeschafft wurde. Das spricht dafür, dass der Zustand des Schlafes für grundlegende Reparatur- und Regenerationsprozesse unverzichtbar ist.
Vermutlich schlafen wir also nicht wegen einer einzigen Aufgabe, sondern weil unser Körper mehrere lebenswichtige Programme nur im Zustand des Schlafes zuverlässig abarbeiten kann – ähnlich wie ein Computer große Updates bevorzugt nachts installiert.
Was im Schlaf eigentlich passiert
Dank moderner Schlaflabore wissen wir, dass die Nacht grob in zwei Zustände zerfällt: die REM-Phase (Rapid Eye Movement) und die Non-REM-Phasen. In der REM-Phase sieht man im EEG die typischen schnellen Augenbewegungen, in der man leichter aufwachbar ist. Die übrigen Phasen dienen Erholung, Reparatur und Sortierung – körperlich wie mental.
„Wir schlafen, um die Sinne zu entlasten und den Körper wiederherzustellen.“
(Erstaunlich nah an der modernen Schlafforschung.)
Aristoteles brachte damit schon in der Antike ziemlich präzise auf den Punkt, was die Schlafforschung heute mit viel Technik bestätigt.
Unser Schlaf folgt einem inneren Taktgeber, dem zirkadianen Rhythmus. Und weil wir Menschen auch beim Schlafen nicht alle gleich funktionieren, lassen sich verschiedene Chronotypen unterscheiden. Da gibt es die Eulen, die abends aufblühen und morgens eher ungern am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Und es gibt die Lerchen, die früh wach sind, früh Leistung bringen und früh schlafen gehen. Ein Teil davon ist genetisch programmiert, ein Teil durch Umweltfaktoren wie Arbeitszeiten oder Schulbeginn geprägt. Für bestimmte Chronotypen wurden sogar Genvarianten gefunden.
Macht Schlafmangel dick? Leider ja.
Die kurze Antwort: Ja.
Die längere Antwort: Nicht der Schlafmangel selbst macht dick, sondern das, was er im Hormonsystem anrichtet.
Schlaf steuert zentrale Stoffwechselhormone. Bei ausreichendem Schlaf haben wir viel Leptin – das Hormon, das den Appetit dämpft. Bei Schlafmangel steigt dagegen Ghrelin, das berühmte Hungersignal. Dieses Hormonkippbild reicht schon nach einer einzigen Nacht mit weniger als fünf Stunden Schlaf. Heißt: Wir essen automatisch mehr. Passiert das häufiger, nehmen wir zu. So einfach, so unangenehm.
Hinzu kommt: Schlafmangel verschlechtert die Insulinsensitivität, macht uns metabolisch träger und begünstigt langfristig Gewichtszunahme. Und wer bereits übergewichtig ist, entwickelt häufiger eine Schlafapnoe – ein nächtliches Atemproblem, das die Erholung weiter stört. Ein klassischer Teufelskreis.
Warum wir schlecht schlafen – und was man selbst tun kann
Die Gründe für schlechten Schlaf sind individuell. Aber die Mechanismen dahinter sind gut verstanden und werden unter dem Begriff Schlafhygiene zusammengefasst.
Ein paar Punkte:
• Raumtemperatur: Wir schlafen besser, wenn die Körpertemperatur leicht absinkt. Deshalb funktionieren kühle Schlafzimmer erstaunlich gut.
• Licht: Handys strahlen blaues Licht um die 480 nm ab. Das signalisiert dem Gehirn „Es ist noch hell“ – und verhindert die Melatoninfreisetzung.
Melatonin ist das körpereigene „Dunkelhormon“. Es steigt an, sobald es abends dunkel wird, und gibt dem Körper das Signal: „Jetzt wird es Zeit, zur Ruhe zu kommen.“ Es senkt die Körpertemperatur leicht ab, macht uns schläfrig, stabilisiert den Schlaf-Wach-Rhythmus und hilft, die Nacht strukturiert zu durchlaufen. Es wirkt also nicht wie eine Schlaftablette, sondern wie ein biologischer Taktgeber, der den Körper in den Nachtmodus schaltet – sofern wir ihn nicht durch helles, besonders blaues Licht wieder irritieren.
• Rhythmus: Regelmäßige Schlafenszeiten helfen dem inneren Takt.
• Bewegung: Wer sich tagsüber bewegt, schläft abends besser.
• Ernährung: Viele Eltern berichten, dass Zucker ihre Kindern zappelig macht. Ob das nun an der Süße selbst, am Anstieg von Blutzucker und Insulin oder an einer Mischung aus allem liegt – die Alltagserfahrung ist seit Jahrzehnten erstaunlich stabil.
Und was ist mit Schlaftabletten?
Die schlechteste Idee überhaupt ist, schlechten Schlaf dauerhaft mit Tabletten zu behandeln. Für sehr seltene Ausnahmen im Monat – ja. Regelmäßig – nein. Das führt in die Abhängigkeit und löst das eigentliche Problem nicht.
Deutlich sinnvoller ist eine konsequente Schlafhygiene, gegebenenfalls ergänzt durch eine Verhaltenstherapie. Es gibt mittlerweile digitale Gesundheitsanwendungen wie die App „Insomnia“, die Schlafstörungen verhaltenstherapeutisch angeht.
Fazit: Schlaf gehört in die Prävention
Ein dauerhaft gestörter Schlaf ist nie eine Lappalie. Er ist ein Hinweis auf eine komplexe Gesundheitsstörung – und ein handfester Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselprobleme und natürlich Gewichtszunahme.
Wenn wir in der Präventionsmedizin Risikofaktoren minimieren oder idealerweise ausschalten wollen (Rauchen wäre der Klassiker), dann muss auch der Schlaf stärker in den Fokus rücken. Er ist kein Luxus, sondern ein biologisches Grundbedürfnis mit Wirkung auf nahezu jedes System unseres Körpers.
Wer gut und länger schläft, lebt gesünder – nicht, weil Schlaf magisch wäre, sondern weil der Körper in dieser Zeit repariert, sortiert und neu startet. Und manchmal beginnt das mit etwas so Unaufgeregtem wie einem kühleren Schlafzimmer, einem abendlichen Spaziergang – und einem Handy, das rechtzeitig Feierabend macht.
Dr. med. Stefan Rupp
Hausarzt in Freiburg-Littenweiler
Allgemeinmedizin, Prävention & Ernährungsmedizin