Wenn Essen weh tut
Warum Ernährung bei manchen Menschen Entzündungsprozesse begünstigen kann – und wie man Beschwerden begegnet
Wir alle kennen das Gefühl: Man isst etwas völlig Alltägliches – und Stunden später fühlt man sich müde, aufgebläht, gereizt oder „irgendwie entzündet“. Keine akute Allergie, keine eindeutige Reaktion – aber Anzeichen, dass der Körper auf manche Nahrungsmittel sensibel reagiert.
Viele Menschen spüren diese Zusammenhänge, finden jedoch in der klassischen Diagnostik keine klare Erklärung. Oft bestehen die Beschwerden schon seit Jahren – und nicht selten begleitet sie der Begriff „Reizdarm“, ohne dass wirklich klar ist, was dahintersteckt.
Ob und in welchem Ausmaß bestimmte Nahrungsmittel das Immunsystem aktivieren und dadurch Beschwerden verursachen können, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt – dennoch mehren sich Hinweise darauf, dass Ernährung, Immunregulation und Entzündungsneigung eng miteinander verknüpft sind.
Genau hier beginnt das Spannungsfeld zwischen moderner Ernährungsmedizin, Immunologie und Alltagserfahrung.
Kleine Entzündungen mit großer Wirkung
In diesem Zusammenhang spricht man häufig von Low-Grade-Inflammation – also einer dauerhaften, unterschwelligen Entzündungsaktivität im Körper. Sie entsteht, wenn das Immunsystem immer wieder leicht aktiviert wird, ohne dass eine echte Infektion vorliegt. Sie kann durch Übergewicht, Stress, Bewegungsmangel oder bestimmte Nahrungsbestandteile – etwa Emulgatoren, künstliche Zusatzstoffe oder stark verarbeitete Lebensmittel – verschlechtert werden.
Diese stillen Entzündungen werden heute mit zahlreichen Zivilisationserkrankungen in Verbindung gebracht: von Bluthochdruck und Diabetes über Arthrose und Depressionen bis hin zu chronischer Müdigkeit.
Man könnte sagen: Nicht das eine Stück Kuchen macht krank – sondern das ständige kleine Feuer im Hintergrund.
Wenn das Immunsystem auf Nahrungsmittel anspringt
Bei klassischen Allergien (Typ I) reagiert das Immunsystem sofort – etwa auf Pollen oder Erdnüsse. Anders verhält es sich bei langsam verlaufenden Nahrungsempfindlichkeiten: Hier scheint die Abwehr manchmal zeitverzögert anzuspringen, sodass Beschwerden erst Stunden oder Tage nach dem Essen auftreten. Dieser Mechanismus ist wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt und wird häufig als „verzögerte Immunantwort“ bezeichnet.
Typische Beschwerden können sein: Völlegefühl, Blähungen, wechselnde Stuhlgewohnheiten, Gelenkbeschwerden oder Kopfschmerzen, Hautprobleme (z. B. Ekzeme), diffuse Erschöpfung oder Stimmungsschwankungen. Zudem wird diskutiert, ob solche Mikroentzündungen depressive Symptome verstärken und den Verlauf von Autoimmunerkrankungen mitbeeinflussen können; ein gesicherter kausaler Zusammenhang ist bislang nicht belegt.
Diese Reaktionen sind nicht gefährlich, können das Wohlbefinden aber deutlich beeinträchtigen.
Wenn Ihnen der Begriff „verzögerte Immunantwort“ zu technisch ist, nennen wir es ruhig so, wie es viele Patienten ausdrücken: „Ich vertrage manches einfach nicht – aber es zeigt sich erst später.“
Möglichkeiten und Grenzen
Ob bestimmte Nahrungsmittel Beschwerden verstärken, lässt sich nicht immer eindeutig nachweisen. Laboruntersuchungen können Hinweise geben, ersetzen aber nicht die ärztliche Einschätzung und eine sorgfältige Beobachtung der eigenen Ernährung. Entscheidend ist, Muster zu erkennen: Wann treten Beschwerden auf, und bessern sie sich, wenn bestimmte Lebensmittel reduziert oder weggelassen werden?
In der Literatur und auch in praktischen Beobachtungen werden zudem häufig bestimmte Grundnahrungsmittel als mögliche Auslöser genannt – etwa Weizen (auch ohne nachgewiesene Glutensensitivität), Milchprodukte, Eier oder gelegentlich Soja. Ob diese tatsächlich Beschwerden verursachen, muss individuell geprüft werden. Ebenso wird vermutet, dass dauerhaft erhöhte Insulinspiegel – etwa durch häufigen Verzehr von Zucker oder schnell verfügbaren Kohlenhydraten – entzündliche Prozesse im Körper begünstigen können.
Bei manchen Patientinnen und Patienten kann sich auch eine Besserung erzielen lassen, wenn für eine bestimmte Zeit Lebensmittel mit hohem FODMAP-Gehalt gemieden werden. FODMAP steht für „fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole“ – also schwer verdauliche Kohlenhydrate, die im Darm Gase bilden und Beschwerden verstärken können. Dazu gibt es zahlreiche Tabellen, die zeigen, welche Lebensmittel besonders FODMAP-reich sind.
Manchmal kann eine zeitlich begrenzte Auslassdiät helfen, um herauszufinden, ob und welche dieser Lebensmittel das persönliche Wohlbefinden beeinflussen – sie sollte jedoch immer ärztlich begleitet werden.
Wann eine ärztliche Abklärung sinnvoll ist
Wenn Beschwerden immer wieder auftreten, sollte ärztlich geprüft werden, welche Ursachen infrage kommen. Neben funktionellen Störungen wie Reizdarm oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten müssen – je nach Alter und Gesamtsituation – auch andere Erkrankungen bedacht werden. Dazu zählen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, hormonelle oder gynäkologische Veränderungen, aber auch seltenere Ursachen wie Ovarialzysten, die auf den Verdauungstrakt drücken können.
Ab einem bestimmten Alter gehört außerdem eine Darmkrebsvorsorge selbstverständlich zur Abklärung dazu. Welche Untersuchungen sinnvoll sind, hängt immer von der individuellen Situation und den geschilderten Beschwerden ab.
Fazit: Bewusst essen, realistisch bleiben
Aus ärztlicher Erfahrung ist die Abklärung unklarer Bauchbeschwerden oft schwierig. Es gibt nur wenige belastbare Laborparameter oder bildgebende Untersuchungen, sodass man meist auf Ernährungsanpassungen, Auslassversuche und Diätveränderungen angewiesen ist. Das erfordert Zeit, Geduld – und führt nicht immer zum gewünschten Erfolg.
Auffällig ist, dass gerade jüngere Menschen mit depressiven Symptomen häufig auch über Bauchbeschwerden klagen. Diese lassen sich über die genannten Wege oft nur begrenzt beeinflussen. In solchen Fällen sollte – insbesondere bei frustranem Untersuchungsverlauf – auch eine psychosomatische Komponente in Betracht gezogen werden.
Wichtig ist jedoch, diesen Aspekt nicht vorschnell in den Vordergrund zu stellen, sondern erst dann einzubeziehen, wenn körperliche Ursachen sorgfältig geprüft wurden.
Dr. med. Stefan Rupp
Hausarzt in Freiburg-Littenweiler
Allgemeinmedizin, Prävention & Ernährungsmedizin